Rotwein - von den Römern und dem roten Wein

Von den Thrakern bereits vor über 3000 Jahren im heutigen Bulgarien angebaut, gibt es die von ihnen terrassenförmig angelegen Weinhänge noch immer. Seit dem hat sich einiges im Berufsbild des Winzers der Industrialisierung ergeben, aber das Erfolgsrezept ist das Gleiche geblieben: Wärme, Weinrebe, Boden und Mikroorganismen generieren in einem fein aufeinander abgestimmten Crescendo ein Produkt, welches weltweit Anklang findet und Liebhaber auf allen Kontinenten ins Schwärmen bringt. Ausgewogenheit in Harmonie, wohl proportionierter Körper und kerniger Alkoholgehalt zeichnen den bulgarischen Rotwein aus.
Damals wie heute wird minutiös Jahr für Jahr an jedem einzelnen Rebstock der Wuchs kontrolliert, die Rebe erzogen und bedarfsoptimiert gedüngt. Bei steiler Hanglage werden auch im 21. Jahrhundert die Trauben mühevoll von Hand geerntet. Winzer ist kein Beruf, es ist vielmehr eine Berufung die feinste Sinne, Durchhaltevermögen, Erfindungsreichtum und Leidenschaft fordert.
Für einen vollmundigen, vielschichtigen Rotwein sind die Bodenverhältnisse und Sonneneinstrahlung ebenso von Bedeutung wie der Reifegrad der Beeren. Vulkanische Böden bringen durch ihre reichhaltige Mineralisierung und wasserspeichernde Eigenschaft zuverlässig harmonisch schmeckende Weine hervor. Metamorphe Lehm- oder Schieferböden in Weinanbaugebieten sind ebenfalls mineralienreich und bringen besonders charakteristische Weine hervor. Jedoch verlangen sie dem Winzer einiges an Erfahrung ab und bedürfen kontinuierlicher Kontrolle. All diese Böden finden sich in Bulgarien und ermöglichen eine unvorstellbare Vielfalt.
Die Schwarzmeerregion im Osten Bulgariens ist für ihren sehr milden und langen Herbst bekannt. Die Reben haben hier schier endlos Zeit zuckerreiche Beeren zu produzieren. Unter diesen hervorragenden Bedingungen werden die einheimischen Rotweine Mavrud, Gamza, Rubin, Pamid, Melnik, roter Misket, Bouquet, Ruen, Evmolpia und die internationalen Rebsorten Cabernet Sauvignon, TraminerSyrah / Shiraz und Merlot besonders vielschichtig und charakterstark.
Das im Herzen des Landes gelegene Rosental erstreckt sich über die Hänge des Süd-Balkans. Hohe Niederschlagsmengen im Frühling und Frühsommer sowie warme Sommer sind das Erfolgsrezept für die bekannteste Rebsorte im unteren Balkan: Der rote Misket. Obgleich diese alt-einheimische rote Rebsorte weiß gekeltert wird.
Der Mavrud oder auch Mawrud geschrieben hat seine Heimat in oberthrakische Tiefebene im Süden Bulgariens. Die Rebe benötigt ein gemäßigtes Kontinentalklima mit fruchtbaren Schwarzerden zur Produktion des intensiv vollen und dabei tanninherben Spitzenweins. Noch viel weiter im Süden gelegen, im Strumatal, wachsen auf den nährstoffarmen sandigen Böden die Reben des frühreifen Melnik und die breitblättrige Melniker Rebe. Dort, im nahezu mediterranen Teil Bulgariens, werden durch hohe Temperaturschwankungen zu Reifezeit der Trauben Rotweine wie der Melnik, Cabernet Sauvignon und Merlot produziert.
In der fruchtbaren, von Flüssen durchzogen Gegend der Donauebene mit ihren Lössböden und gemäßigtem kontinentalen Klima, den heißen Sommern und unzähligen Sonnenstunden sind preisgekrönte Rotweine wie der einheimische Gamza oder die internationalen Rebsorten wie der Cabernet Sauvignon, Merlot und Pamid angesiedelt.
Die zur Weinlese mit Sommer aufgeladenen Beeren besitzen neben einen hohen Gehalt an Antioxidantien und weiteren Proteinen zum Schutz gegen die Sonnenstrahlung auch einen hohen Zuckergehalt und eine dickere Schale. Die Antioxidantien haben es zuletzt aufgrund ihres Potenzials als Radikalfänger und als Schutz für Zellen weltweit in die Nachrichten geschafft. Reben in kühleren Mikroklima bilden Trauben mit weniger Zuckergehalt und mehr Säure aus. Wachsen die Beeren hingegen am Meer, welches tagsüber kühlend wirkt und nachts wärmt, reifen sie harmonischer an der Traube durch.
Gerade diese Kombinationen führen beim Keltern zu jenen unverwechselbaren Aromen eines guten Jahres im entsprechenden Terroir Bulgariens.

Bulgarischer Rotwein - eine Erfolgsgeschichte

Zwischen Euphrat und Tigris liegen die 5000 Jahre alten Wurzeln des Weinanbaus. Das Anbaugebiet für Wein sowie die Anzahl der Rotweinrebensorten ist über die Jahrtausende immer weiter gewachsen. Der florierende Handel generierte, neben neuen Liebhabern des Rotweins, auch neue Nutzflächen mit diversen neuen Böden und klimatischen Unterschieden. Bald war der gesamte Mittelmeerraum Weinanbaugebiet und die Griechen und Römer haben ihm sogar einen Gott gewidmet. Fufluns und Bacchus sollten neben dem Wein auch über die Fruchtbarkeit wachen. Diese Leidenschaft führte dazu, dass zu Christi Geburt bereits 150 Rebsorten bekannt waren und angebaut wurden. Zu diesem Zeitpunkt muss es gewesen sein, als die Römer den Thrakiern im heutigen Bulgarien den Weinanbau auf hohem Niveau beibrachten. Diese perfektionierten den Weinanbau und das Keltern weiter und wurden zu einem der wichtigsten Produzenten für Rotwein.
Die Weinreben mussten bis zur europäischen Wiederentdeckung der Welt warten um in neue Anbaugebiete in günstigerem Terroir zu gelangen. Damals wie heute wusste man bereits um die gesellschaftliche sowie anregende Bedeutung des Weines. Die unterschiedlichen Schiefer- beziehungsweise Lehmböden, Niederschlagsmenge, Sonnenstunden und Hanglage des Weinguts führten zu einer geschmacklichen Revolution im Weinanbau.
Seit dem generieren die importierten Reben auch am anderen Ende der Welt preisgekrönte Rotweine. Ein Syrah / Shiraz aus Südafrika, Intriga Cabernet Sauvignon aus Chile und Merlot aus Australien sind aus den Regalen nicht mehr wegzudenken und Reihen sich übergangslos in die Spitzenpositionen ein.
Bulgarien nimmt als Weinproduzent global betrachtet nur eine untergeordnete Rolle ein. Der bulgarische Wein als Qualitätsgut hingegen rangiert bei Verkostungen regelmäßig auf den vorderen Rängen und muss sich hinter hochindustrialisierten Weinanbaugebieten in Italien oder Argentinien keinesfalls verstecken. Getreu dem Motto „Qualität statt Quantität“ werden auf höchstem Niveau feinste Weine produziert.

Rote Beere gleich Rotwein?

Rotwein ist der aus den blau-roten Beeren der Weinrebe gewonnene und vergorene Pflanzensaft - obgleich rote Weinbeeren nicht automatisch einen roten Wein generieren. Die Mazeration der Weintrauben im Ganzen markiert für einen satten Wein den Start der Produktion. Der resultierende Most des Rotweins in spe wird im Fermentationsprozess durch Hefen und andere Mikroorganismen weiter aufgeschlossen und alkoholisch vergoren. Der Most und die Maische werden dabei nicht entfernt sondern kontinuierlich durchmischt. Nur so lösen sich die Flavonoide aus der Schale der Weinbeeren generieren in den ersten Wochen des Gärprozesses die satte rote Färbung. Für einen zarten, eleganten und dabei trotzdem starken Rotwein ist eine zweite Gärung, die malolakische, unerlässlich. In dem Veredlungsprozess werden die scharfen Geschmacksnuancen der Apfelsäure in mildere Milchsäure umgewandelt und der Gärprozess weitestgehend abgestoppt. Eine Klärung ist bei ausbaufähigen, erstklassigen und damit meist hochpreisigen Wein größtenteils unnötig. Durch die lange Lagerzeit sedimentieren die gegebenenfalls beim Keltern übriggebliebenen Schwebstoffe.
Die nur sehr begrenzt wiederverwendbaren Eichenfässer fügen dem Wein zusätzliche Gerbstoffe hinzu. Der Ausbau und eine reduzierte Belüftung führen zu einem Rotwein mit Komplexität und Charakter. Tannine und Phenole formen im Zusammenspiel mit den in der Rispe enthaltenen, pflanzeneigenen Gerbstoffen Aromen wie Vanille, Orange und Schokolade. Gerade diese Kombinationen bringen Jedermann beim zwanglosen Abend mit den Liebsten zum träumen. Abhängig von Jahrgang, Rebsorte, Terroir und Stilistik schafft der Winzer im Prozess des Kelterns ein harmonisches, lang anhaltendes Fest für die visuellen, olfaktorischen und geschmacklichen Sinne. Ruhe und Entschleunigung sind dabei das A und O, ein guter Wein braucht einfach seine Zeit.
Eben dieses grazile Konstrukt mit unzähligen Stolpersteinen und nötiger Erfahrung erklärt die mitunter hochkarätigen Preise einschlägiger Weingüter.

Die Cuvèe und Lagerung von Rotwein

Weinreben wurden durch Zuchtwahl, Pfropfung und ja, auch Zufall über die Jahrhunderte hinweg veredelt und führten zu einer atemberaubenden Vielfalt. Denn noch ist beim Rotwein üblich, nicht unbedingt sortenrein zu keltern. Zarte Aromen wie Vanille und Honig des Cabernet werden mit den kräftigen, konzentrierten Aromen eines Pinot Noir kombiniert und mit einem Syrah kreiert man einen edlen, dunklen Cuvèe der die Sinne vollends stimuliert.
Dieser so trivial klingende Prozess ist in Wirklichkeit minutiös vom Kellermeister zu planen und haargenau abzustimmen. Gleichfalls müssen die vorgegärten Weine zum Zeitpunkt des Verschnitts bereits ihr volles Aroma entfaltet haben und stellen für den Winzer immer ein wirtschaftliches Risiko dar.
Nach dem vermeintlichen Reifeprozess im Weinfass und Abfüllen ist ein guter Rotwein noch nicht auf seinem geschmacklichen Zenit. Die Qualität der Weintrauben, Weinbereitungsart und die Ertragshöhe sind auch bei der Nachreifung maßgeblich beeinflussende Faktoren. Um beim Öffnen Entzücken und Frohlocken auf der Terrasse hervorzurufen bedarf es Geduld. Die erhoffte Geschmacksfülle, Intensität, Harmonie und den Ausdruck erreicht der in der Flasche weiter gereifte Rotwein mitunter erst nach Jahren der liegenden Lagerung. Das eventuell durch die zu lange Lagerung durch Polymerisation und Kristallisation entstehende Depot aus Weinstein und Hefe ist bei den schweren, mächtigen Weinen nur schwer zu vermeiden.
Es ist nur nachvollziehbar, dass Weinkenner ihren Wein in Gewölben oder Schränken bei gleichbleibenden Temperaturen und Luftfeuchte aufbewahren und sich genau überlegen, wem sie ihre roten flüssigen Schätze zeigen.

Rotwein - ein Genussmoment

Die Sinnesempfindung, Sinneserfahrung beginnt bei der Färbung, Transparenz beziehungsweise Trübung und Viskosität. Rotweine besitzen graduelle Färbungen von hellrosa über rot zu granatrot und blau bis schwarz. Der Kenner guter Rotweine weiß selbstverständlich, dass Rotwein im Alter Farbe zurück nimmt und denn noch immer kristallklar funkelnd ist. Die Neigung zum Schlieren ziehen und die Schwenkeigenschaften rühren zum größten Teil aus dem Alkoholgehalt des Genussmittels.
Bei der Degustierung wird der Wein verkostet. Dazu gehört neben der optischen auch die olfaktorische Begutachtung im gläsernen Weinkelch. Reintönigkeit und ein sauberer Geruch des Bouquets rufen bereits zu diesem Zeitpunkt bei den meisten Entzücken hervor - dabei ist es uninteressant ob Sommelier oder Laie. Attribute wie fruchtig, blumig, nussig und würzig kommen wie von Geisterhand in den Sinn und werden global verstanden - dabei wurde noch nicht ein einziger Tropfen gekostet.
Geschmack beziehungsweise Geschmacksrichtungen werden von den Papillen auf der Zunge wahrgenommen. Sie formen im fein aufeinander abgestimmten Zusammenspiel die unzähligen unterschiedlichsten Geschmacksnuancen.
Das zart Bittere bis Samtige im Rotwein wird meist vom Tannin aus den Stielen und Traubenkernen hervorgerufen. Ein dezent süßer Geschmack ist durch einen hohen Zuckergehalt der Weintrauben oder eine unvollständige Vergärung möglich, da nicht alle Zuckerarten von Hefen vergärbar sind. Einen rassigen, strahlenden Rotwein zeichnet Frische und Intensität aus. Diese, durch den Säuregehalt hervorgerufenen Empfindungen, runden ab und verleihen Bouquet und Harmonie. Eben diese lässt an zirpende Zikaden, vergnügtes Zusammensein oder prasselnde Kaminfeuer denken.
Obgleich der Geschmack selbst die wohl subjektivste Empfindung ist, oder gerade deswegen, ist Wein eine Annehmlichkeit die sich durch die Kulturen zieht.
Ob am mediterranen Mittelmeer oder der Lodge in Südafrika; ein Glas Rotwein gehört dazu. Dabei ist es von je her weniger wichtig, ob es Käse oder Lukanka gibt, es kommt auf den Esprit des Momentes an den man mit Freunden oder Kollegen in geselliger Runde teilt. Dieses Gefühl der Solidarität und Einheit wird interkulturell von jedem geschätzt. Es vergeht selten ein Abend an lauen Sommernächten am Meer, bei dem nicht mit ein Glas Rotwein philosophiert wird. Das Gesprächsthema ist dabei nicht selten der Wein selbst. Sei es sein Bouquet, unverwechselbar fruchtig wie ein Merlot, weich wie ein Kadarka oder etwas eher Profanes wie die blauen Lippen des Gesprächspartners.
Rotwein bringt die Menschen verschiedenster Kulturen zusammen und wird seit je her Generationsübergreifend genossen. Sein mitunter komplexer Geschmack nach reifen Pflaumen, Brombeeren oder Mandeln fasziniert und lädt auf eine Auszeit vom vielleicht tristen Alltag ein. Beim Kochen ist eine Rotweinsoße ein fester Bestandteil in der Küche. Ein Guter, geschmacklich harmonischer, fülliger Wein wertet ein einfaches Mahl um Klassen auf und vermittelt einen dekadenten und zugleich spielenden Charakter. Es fällt leicht sich bei einem Glas Rotwein treiben zu lassen, zu lachen und das Leben bewusst in vollen Zügen zu genießen.

Eben diese Sinnesfreuden führen zu Abenden, an die sich Jung und Alt mit einem Lächeln auf den Lippen jederzeit gern zurück erinnern. Dieses Gut „Rotwein“ hat vor langer Zeit Einzug gehalten, als Handelsgut oder Lebensgefühl - es ist nicht mehr von der Tafel wegzudenken. Ob im langstieligen Weinglas oder eingekocht in der Soße, trocken oder süffig, feingliedrig oder muskulös, er begleitet die Kulturen der Welt seit Jahrtausenden und wird es auf Grund seiner sinnlichen Vielfältigkeit wahrscheinlich auch noch weiter tun.